In regelmäßigen Abständen erreicht mich folgende Nachricht in verschiedenen Sprachen: „Hallo Wiebke, ich finde deine Bilder klasse! Ich selbst bin ZeichnerIn / Aquarell- / Öl- / PastellmalerIn und würde gerne wissen, ob ich deine Bilder als Referenz nutzen kann?“ Natürlich fühle ich mich geschmeichelt. So simpel wie die Frage klingen mag, so schwer fällt mir jedoch die Antwort darauf. Warum? Ich versuche es aus Fotografensicht zu erklären.
Meine Zeichnervergangenheit
Doch zunächst gehe ich einen Schritt zurück in die Vergangenheit. Ich selbst habe vor meiner Selbstständigkeit als Fotografin vor allem gezeichnet. Meine Hefter zu Schul- und Ausbildungszeiten waren voll mit kleinen Karikaturen, Skizzen und vor allem Pferden. In meiner Freizeit habe ich oft stundenlang am Schreibtisch gesessen und mit Bleistift und weißen Blättern Bilder erschaffen. Als Vorlagen dienten mir wie selbstverständlich in vielen Fällen Fotografien, sofern mir kein Fantasiewesen aus den Gedanken entsprungen ist. Noch heute zeichne ich gerne. Nur fehlt mir die Zeit und die Konzentration. Denn nicht ohne Grund wirken viele meiner Fotografien „wie gemalt“: am Grafiktablett verfeinere ich mit digitalen Pinselstrichen meine Bilder. Die damals erlernten Techniken wende ich heute also digital und in angepasster Form an. Dennoch ist die Konzentration und Anstrengung ähnlich, weshalb die reine Zeichnerei leider keinen entspannenden Ausgleich mehr für mich bietet.
Der Seitenwechsel
Über die Zeit habe ich also die „Seiten gewechselt“, wenn man so will. Von (Ab-)Zeichnerin bin ich zur Fotografin und damit „Referenzbilderzeugerin“ geworden. Ich kenne also beide Perspektiven. Doch: Meine Leidenschaft habe ich schlussendlich in die Fotografie gesteckt und daran gearbeitet, hier meine Fähigkeiten auf- und auszubauen. Die Fotos kosten mich mittlerweile viel mehr Zeit, als eine Zeichnung. Ich habe mit meiner Ausbildung zur Fotografin, meiner Assistenzzeit in London bei Tim Flach und im Selbststudium viel über Bildgestaltung, bewusste Inszenierung und Fine-Art gelernt. Während meiner Fotoshootings muss ich zudem mein Fachwissen zur harmonischen Darstellung von Pferden anwenden, das Licht lesen und mit den Gegebenheiten vor Ort umzugehen wissen, um ein tolles Motiv zu fotografieren. Dass dabei auch die Technik fehlerlos zu beherrschen ist, scheint selbstverständlich, ist aber auch verbunden mit viel Übung und Training. In der digitalen Bildbearbeitung wird nochmals viel Zeit investiert. Zaun- und Halfterretusche, also das Nachbilden von Gesichts- und Umgebungsstrukturen sowie das bewusste Setzen von Kontrasten, ist essentiell für meine Fotos.
Wer ist Bilderschaffer?
Vor einigen Monaten ist mir zu der Fragestellung, ob meine Bilder als Referenz dienen könnten, dann Folgendes aufgefallen: Wer kreiert das Motiv? Wer sorgt dafür, dass das Motiv stimmig ist? Dass alle Lichter, Schatten und Kontraste so gesetzt sind, dass das Bild rund wirkt? Dass das Pferd in seiner Schönheit zur Geltung kommt? Dass es überhaupt würdig und interessant genug ist, gezeichnet oder gemalt zu werden? Das alles ist das Werk des Bilderzeugers, also des Fotografen. Ich bin die Künstlerin, die Bilderschafferin. Auch wenn mancherorts die Fotografie als Kunstform nicht anerkannt werden will – das abgemalte Bild jedoch schon! Dabei wirkt auch das abgemalte Werk nur, weil vor allem Komposition, Lichter, Schatten und Linienführung vom Original übernommen werden. Teilweise wird sogar das unscharfe Bokeh, was ein typisches Stilmittel für die langen Brennweiten in der Fotografie ist, auf die Zeichnung übernommen. Auf einer meiner Galerieausstellungen kam ein Besucher staunend auf meine Fotografien zu. Die Motive hatten sie so sehr in den Bann gezogen, es sah schließlich aus, „wie gemalt“. Als sich dann herausstellte, dass es sich dabei „nur“ um Fotografien handelte, ging man mit abfälliger Geste weiter. Kurios: Denn bei Kunst geht es doch um das Erschaffen von stimmigen Motiven, egal, mit welchen Mitteln diese erzeugt wurden. Und offenbar hat meine Komposition zunächst genau ihren Zweck erfüllt, das Mittel war nur nicht recht.
Ist das Kunst?
Doch warum wird es als Kunst gehandelt, wenn genau das gleiche Motiv gemalt wird? Ich selbst investiere mindestens genauso viel Zeit in die Fotografie, wie ein Maler in das Abbild des Fotos. Nur habe ich noch einen viel höheren Aufwand: Das Fotoequipment, die Blitzanlage und der Bildbearbeitungsrechner kosten mich im Vergleich zu Pinsel und Leinwand viel mehr Geld. Und: Ich muss erst zu meinem Model fahren, mir Gedanken zur Umsetzung des Bildes machen, das Pferd steuern, Lichter setzen, einen geeigneten Hintergrund finden, etc…
Natürlich hat jeder Künstler auch seinen eigenen Zeichen- und Malstil: Von hyperrealistichen Zeichnungen und Gemälden, in denen jedes Haar dem Original entspricht bis hin zu abstrahierten Werken. Oft staune ich über die Perfektion und den wunderschönen Stil, den sich die Künstler angeeignet haben. Dieser Gedankengang soll auch überhaupt nicht Talent und Umsetzung der Zeichenarbeiten und Malereien anzweifeln. Ich selbst bin nach wie vor ein großer Fan von allen Bildkünsten. Und ich schreibe auch nicht über Künstler, die Fotos zum Studium anatomischer Grundlagen verwenden, um dann anschließend ein völlig eigenes, freies Werk zu schaffen.
Vom Handwerk
Doch im Grunde ist es eher ein Handwerk, welches durch den Abzeichner bzw. Abmaler ausgeführt wird. Ein Motiv wird in ein anderes Medium übertragen. Wenn man es scharf formulieren möchte, stellt sich die Frage: Wo ist die eigene, kreative Leistung? Vor allem dann grüble ich über die Antwort, wenn die abgemalten Bilder anschließend in Galerien verkauft werden sollen.
Bisher bin ich so verblieben, dass meine Bilder für nicht-kommerzielle Zwecke und mit ausreichender Verlinkung abgezeichnet werden dürfen. Auch mit dieser Regelung tue ich mich mittlerweile schwer. Einfach, weil ich so unglaublich viel Zeit, Gedanken und Herzblut in jede einzelne Fotografie investiere. Ich denke, dass fast jeder Fotograf es seltsam findet, wenn ein anderer Kollege sein Motiv exakt nachstellt. Ja, manch einer schwingt sogar schnell die Urheberrechtskeule. Nichts anderes ist auch das abgemalte Bild: Eine Kopie des Originals. Auf der anderen Hand möchte ich aber auch nicht die „Böse“ sein, denn schließlich hätte ich mich damals auch über solche Erlaubnisse zum Üben meiner Zeichenfähigkeiten gefreut. Ich stehe also zwischen Baum und Borke. Mir wurde sogar schon Geld geboten, für das Abzeichnen meiner Fotos. Diesen Gedankengang seitens der Künstler finde ich klasse. Es zeigt mir, dass sie die fotografische Arbeit genauso schätzen (natürlich ebenso wie die Leute, die generell fragen, anstatt einfach zu zeichnen). Trotzdem habe ich jedes Mal abgelehnt, da mir einfach ein Referenzwert fehlt, wie hoch man eine solche Lizenz vergüten könnte, so dass es für beide Seiten fair bleibt.
Mein Fazit
Ich würde Zeichen- und Malkünstler gerne mit meinen Bildern weiterhin inspirieren. Vielleicht wecken sie bei dem einen oder anderen sogar das Interesse, tatsächlich Bilderschaffer zu werden. Ausgestattet mit einer einfachen Spiegelreflex kann man gut eigene Referenzbilder zum Malen erzeugen. Mit anatomischen Studien am Weiderand eignet man sich sogar mit der Zeit die Körperlogik der Tiere an, so dass Referenzbilder im Grunde nur zum Überprüfen der Stimmigkeit verwendet werden müssen. Ich habe damals mit der „Bammes Zeichenschule“ gelernt, Tierkörper in „Grundgerüste“ aufzuteilen. Kombiniert mit meinem Job nutze ich für meine heutigen Pferdedoodles keine Vorlagen mehr. Auch traf ich schon Vollblutkünstler, die stets mit Skizzenblock, Stiften und Farbe am Ort des Geschehens sind und mit ihrem eigenen Auge die Situationen sehen und als kleine Scribbles auf Papier bringen, um später ein ausgewachsenes Gemälde daraus zu machen. Eine wirklich faszinierende Arbeitsweise!