Dieses Jahr ist einer meiner größten Träume in Erfüllung gegangen: Ich habe wilde Pferde kennengelernt. Wortwörtlich stand ich inmitten größerer und kleinerer Herden, umgeben von neugierig schauenden, sanftmütigen Tieren. Einige von ihnen waren so mutig, dass sie sogar Körperkontakt suchten. Ganz entgegen meiner Vorstellung von wilden, ungezähmten Hengsten und Stuten habe ich einen ganz anderen Eindruck erfahren. Vertrauen, Liebe und ungetrübte Neugierde sind Begriffe, die das Verhalten der Wilden viel besser beschreiben. Ein großes Bedürfnis nach klaren Strukturen und damit einhergehender Harmonie und gelebten Frieden ist das essentielle Gefühl, was die Herden wie ein schützendes Band zusammen hält. Natürlich demonstrieren Hengste gegenseitig ihre Kraft. Doch das geschieht viel mehr in spielerischen Showkämpfen, als in tatsächlich ernsthaften Auseinandersetzungen. Bei den Leithengsten reicht oftmals eine freundliche Begrüßung mit den Nüstern, ein Quietschen oder ein imposantes Aufstampfen mit den Vorderbeinen, um Dinge zu klären. Nur selten wurde ernsthaft ein aufstrebender Junghengst in seine Schranken gewiesen.
Wildpferde im Vergleich zu heimischen Pferden
Ich habe mich in meinem Leben noch nie so sicher gefühlt, in einer Pferdegruppe zu stehen. Die Wildpferde sind hoch sensibel und nehmen ihre Umgebung sehr genau wahr. Diese Sensibilität ist heimischen Pferden oftmals abtrainiert worden. Wie selbstverständlich muss man auf unseren Koppeln herannahenden Pferden ausweichen und steht’s auf der Hut sein, bei einem Konflikt in der Herde nicht selbst unter die Hufe zu kommen. Wie selbstverständlich fordern einige Pferde mit deutlichen Nasenschubsern Leckerlies ein. Verhaltensweisen, die es in einer klar strukturierten, konsequent geführten Wildpferdeherde nicht gibt. Ich denke, dass vor allem zwei Faktoren in unserer Pferdehaltung daran Schuld sind: Zum einen lässt der beschränkte Platz auf den, im Verhältnis zu den von Wildpferden genutzten Flächen, viel zu kleinen Weiden kein weiträumiges Ausweichen der Pferde in Konfliktsituationen zu. Vor allem auf beengten Winterpaddocks bleibt den Pferden kaum genug Raum. Zum Anderen sind wir als Pferdehalter oftmals viel zu inkonsequent und unsauber in unserer eigenen Körpersprache. Ganz unabhängig davon, wie gern wir unsere Pferde haben, fehlt es uns hier und da an Körpersprache, die von Pferden gelesen werden kann. Das geht z.B. beim Weichenlassen des Vierbeiners los. Wildpferde halten einen sehr respektvollen Abstand zu ranghöheren Tieren ein und es reicht die kleinste Ohrbewegung oder das Anziehen der Nüstern seitens der Alphatiere, um die anderen Pferde weichen zu lassen. Hast du schonmal versucht, nur mit kleinsten Signalen, etwa dem Spannen der Schultern und dem Blickkontakt dein Pferd weichen zu lassen? Mancherorts ist es doch eher ein Ganzkörpereinsatz, um das Pferd herumzuschieben.
Bosniens Wildpferde im Einklang mit der Natur
Die wilden Hengste tänzelten in ihren Showkämpfen um mich und die Herdenmitglieder herum, jagten sich gegenseitig ohne jemanden auch nur ansatzweise in Gefahr zu bringen. Das war wirklich sehr beeindruckend. Bosniens Wildpferde demonstrieren den perfekten Einklang mit der Natur, dem Menschen und sich selbst. Seit mehr als 60 Jahren leben die einstigen Arbeits- und Kriegspferde nun in den Bergen. Sie werden von freiwilligen Rangern überwacht. Nur in besonders harten Wintern werden die Pferde mit etwas Heu unterstützt. Ansonsten sind sie völlig sich selbst überlassen. Das macht sie zu extrem starken und toughen Tieren. Keines der Pferde braucht einen Tierarzt, einen Stall, den Hufschmied, eine Decke oder einen Menschen. Fleischwunden heilen alleine aus, schlechte Hufe brechen dort, wo es die Natur vorgesehen hat. Und alte, schwache oder zu schwer verletzte Tiere dienen den Wölfen als Nahrung. Alles, was diese Wilden brauchen, ist die enorm riesige Fläche (wir saßen teilweise über 2h im Auto, sind durch das große Nichts gefahren, ohne nur ein Pferd zu sehen) sowie den Familienbund.
Und genau daran sollten wir „Pferdemenschen“ uns ein Beispiel nehmen, um die Bedürfnisse unserer domestizierten Pferde viel besser zu verstehen. In ihren Brüsten schlägt auch noch ein wildes Herz. Es wäre ein schöner Gefallen für alle Pferde, wenn deren Besitzer und Reiter von dieser unberührten, natürlichen Lebensweise lernen würden und ihre eigene Pferdehaltung neu überdenken würden. Ich bin mir sicher, dass einige Leute anschließend hier und da mit ihrem Gewissen zu kämpfen haben. So wie ich, denn immerhin bin ich auch eine aktive Reiterin. Seit meiner Begegnung mit den Wilden kreisen immer wieder diese Fragen in meinem Kopf: Wer sind wir, dass wir solche freiheitsliebenden Familientiere einzeln in winzige Boxen stecken? Wer sind wir, dass wir über ihren Koppelauslauf auf oftmals winzigen Grasflächen und ihren sozialen Kontakten bestimmen? Und vor allem: Wer sind wir, dass wir uns das Pferd mit Metall und Leder Untertan machen?
Worauf habe ich beim Fotografieren und der Bearbeitung geachtet?
Ich interessiere mich vor allem für die Fine-Art-Fotografie. Das bedeutet, dass jedes Bild einer bewussten Inszenierung und Komposition folgt. Natürlich unterliegt bei der Wildlifefotografie jedes Bild einem gewissen Zufall. Wilde Pferde kann ich als Fotograf bei Weitem nicht so einfach steuern (lassen), wie domestizierte Hauspferde an Strick und Halfter bzw. auf eingegrenzten Arealen. Gerade bei diesem Projekt ist die Beobachtungsgabe, das gute Auge und das Gespür für den richtigen Moment gefragt, um trotzdem nicht nur Schnappschüsse zu produzieren. Ich habe mich vor allem auf geschwungene Formen, interessante Linien und den Einbezug der Landschaft trotz Telezoom konzentriert. Dabei sollen die oft klaren, gar adrett geordneten Kompositionen von Herden, geschwungenen Rückenlinien und weichen Landschaftsformen zum Einen einen Kontrast zu den von Wunden übersäten Pferden und rauen Szenarien bilden und zum Anderen aber auch die ruhigen, geklärten und harmonischen Momente in der Herde unterstützen.
Farblich wollte ich meine Bilder möglichst ruhig und natürlich halten. Ich liebe kühles Blau. Diese Farbe hat den schönen Effekt, beruhigend auf den Betrachter zu wirken und vor allem die Weite der Landschaft zu unterstreichen. Durch unsere Sehgewohnheit (Farbperspektive) sind wir es gewohnt, dass weiter entfernte Objekte im diffusen Blau erscheinen. Zudem sorgen wiederum schwerblaue Wolkendecken für Dramatik in den bewegteren Motiven. Probier es doch mal aus und schau dir meine Wildpferdereihe etwas genauer an. Erkennst du die Kompositionen, die hinter den Bildern stecken?
Meine Wildpferdeserie „Wild Things“ wurde beim International Photo Award 2016 mit einer „Honorable Mention“ ausgezeichnet und hat beim Tokyo International Photo Award den zweiten Platz belegt. Alle Bilder gibt es hier zu sehen.
Vielen Dank an Maksida Vogt, die diese Wilfpferdeexkurisionen organisiert und ihr Wissen über Pferdeverhalten und -gesundheit teilt! Ich bin froh, ihre Arbeit durch Zufall im Netz gefunden zu haben und somit diesen Trip unternehmen konnte. Am Ende des Beitrages kannst du noch einen kurzen Videoclip dieses Erlebnisses ansehen. Viel Spaß 🙂
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